Con Spirito ...
... Kultur für Gehirn-Anwender
Wenn man im Ausland unterwegs und der jeweiligen Landessprache nicht mächtig ist, weiß man wenigstens, warum man den anderen nicht versteht. Nicht selten passiert einem das aber auch im Gespräch mit den eigenen Landsleuten. Erst die Unterhaltung mit dem Experten macht einem klar, wie dämlich man eigentlich ist.
Wie verloren kommt man sich vor, wenn man im Fachgeschäft steht und sich die als kinderleicht propagierte Bedienung eines ultrapraktischen Multifunktionsgerätes erklären läßt. Da ist von Frequenz, Modulation und Kanalraster die Rede. Obwohl sich beim Anhören dieser verwirrenden Ausführungen die Frequenz meines Pulsschlages erheblich erhöht, die Modulation seiner Stimme eine gewisse Ungeduld verrät und ich bald keinen anderen Öffnungskanal mehr finde, als hysterisch auszurasten, hege ich starke Zweifel daran, dass es das ist, was der Fachmann damit meinte.
"Beim Anschließen beachten Sie dann noch dies und jenes und wenn es Ihnen schließlich, mit Hilfe der eben erläuterten technischen Maßnahmen, beim Einstecken des Kabelsteckers in die Buchse gelingt, einen größeren Stromschlag zu vermeiden, dann haben Sie alles richtig installiert."
"Und für was ist dieser kleine gelbe Hebel, der aussieht wie ein Halbmond?"
Dass ich meine Frage nicht einmal im technischen Jargon zu formulieren weiß, sondern nur zögerlich umschreibe, ruft beim Fachmann gediegene Verachtung empor. Während ich der pflichtschuldigen Antwort lausche, deren Sinn ich wiederum mit keiner Silbe verstehe, blicke ich in einen demonstrativ gelangweilten Gesichtsausdruck, der mein angeknackstes Sprachselbstbewusstsein nicht sonderlich stärkt. Daher schreite ich rechtzeitig von dannen, als stolze Besitzerin eines neuen Gerätes, das kurze Zeit später in einer oberen Schublade verstauben wird.
Was jedoch meinen vor Aufregung rasenden Herzschlag noch immer nicht beruhigt. Der Mann sprach von einem Duplex-Verfahren, als er den vielversprechenden Apparat erläuterte. Meinte er damit eine spezielle Ultraschalltechnik?? Wissbegierig suche ich einen Arzt auf. Doch auch der Gang zum Mediziner vermittelt einem nicht unbedingt den Eindruck, man würde über diesselbe Sprache verfügen.
"Wir müssen unbedingt etwas gegen Ihre hohen Triglyceridwerte unternehmen. Wenn Sie nicht einen großen Bogen um gesättigte Fettsäureprodukte machen, steuern Sie im besten Fall auf eine Angina pectoris oder eine andere Koronarerkrankung zu. So setzen Sie sich unweigerlich der Gefahr einer ventrikulären Tachyarrhythmie aus, und das wollen wir doch nicht, oder?"
Und während ich noch darüber nachdenke, ob ich das wollen würde, wenn ich es denn verstünde, muss ich etwas zur Beruhigung meiner angespannten Nerven tun und verdrücke derweil eine extragroße Portion Nusssahnecremetorte mit extraviel Schlagsahne obendrauf.
Um mein mittlerweile erheblich aufgewühltes seelisches Ego zu glätten, vereinbare ich auch gleich einen Termin beim Psychiater, den ich damit konfrontiere, dass ich andere nicht verstehe und andere mich nicht verstehen, obwohl wir doch eigentlich dieselbe Sprache sprechen. Kurzum: ich komme mir ziemlich blöd vor.
"Wenn man sich blöd vorkommt, so ist das nichts anderes als die Unterdrückung von Aggression, deren Ursache in der Angst vor dem Versagen liegt. Sie befinden sich in einem Zwiespalt, der davon rührt, dass Sie einerseits zwangsläufig Dinge tun, denen Sie sich andererseits nicht gewachsen fühlen. Und natürlich, - was auch sonst - ist alles Übel mit ungelösten Konflikten aus der Kindheit verwurzelt. Durch unverarbeitete Traumata erlischt mit der Zeit die Fähigkeit, konzentriert zu denken und somit auch zu sprechen oder zu verstehen, was andere sprechen. Bevor man rhetorisch versiegt, versucht man dies mit übermäßigem Leistungsanspruch zu kompensieren. Damit vertuschen Sie aber nur die Problematik. Gehen Sie daher an kleine, lösbare Aufgaben heran, backen Sie kleine Brötchen. Oder am besten: ändern Sie Ihr Leben von Grund auf und schaffen sich bei dieser Gelegenheit konsequenterweise auch gleich ein völlig anderes Naturell an!!"
Auf den Punkt gebracht, heißt das vermutlich, dass ich mir nicht nur blöd vorkomme, sondern, dass ich in der Tat blöd bin. Nur gut, dass ich hier war, denn nun ist mir klar, dass ich obendrein auch noch unter den Symptomen einer traumatisch gestörten Persönlichkeit leide.
Ich werde in die nächste Buchhandlung gehen, Miguel de Cervantes ignorieren und mir einen Roman von Barbara Cartland kaufen, in der Hoffnung, dass ich zumindest den verstehe.
© Julie Nezami-Tavi